«Ich durfte in eine ganz besondere Welt eintauchen»

Nach rund 15 Jahren bei JAGD&NATUR bricht unser allseits geschätzter Fachredaktor Raphael Hegglin auf zu neuen Ufern. Er will sich beruflich verändern. Wir sprachen mit ihm über die spannende Zeit beim Schweizer Jagdmagazin.

Veröffentlicht am 26.06.2023

JAGD&NATUR: Geschätzter Raphael, nach 15 Jahren Mitarbeit bei JAGD&NATUR ist Schluss. Nach dieser Ausgabe hörst du auf. Warum?
Raphael Hegglin: Es war für mich eine sehr intensive, lehrreiche und herausfordernde Zeit – in der ich mich nie gelangweilt habe. Doch wenn man ein Thema so lange beackert hat, tut eine Kreativpause gut. Zwar wachsen mit jedem Jahr Wissen und Erfahrung, was ei-nen als Fachjournalist weiterbringt. Doch mit der Zeit verliert man den kindlich-naiven Blick auf die Dinge. Man meint, alles schon zigfach gesehen zu haben, wird abgebrüht. Ich wollte daher aufhören, bevor meine Be-geisterungsfähigkeit für neue Produkte nachlässt. Zu-dem habe ich vor einiger Zeit neben meiner journalisti-schen Tätigkeit angefangen, im Nebenamt als Chemie-dozent zu arbeiten. Eine sehr inspirierende Aufgabe, die allerdings Zeit erfordert.

Fällt es dir nicht schwer, JAGD&NATUR nach so vielen Jahren Adieu zu sagen?
O doch! Ich durfte mit JAGD&NATUR in eine ganz be-sondere Welt eintauchen. Durch den engen Kontakt zu den Herstellern konnte ich vieles lernen, das in keinem Fachbuch geschrieben steht. Auch durfte ich Orte be-suchen, zu denen sonst kaum jemand Zutritt bekommt. Und sehr vermissen werde ich natürlich die Zusammenarbeit mit dem JAGD&NATUR-Team. Diese ging weit über das Berufliche hinaus.

Du bist unserer Leserschaft seit Jahren als kompetenter Fachredaktor der Rubrik Nutzen&Kultur, also für die Bereiche Jagdwaffen, Munition, Optik, Bekleidung, Zubehör etc., bekannt. Was hat dich an diesem Metier besonders gereizt.
Technik und Wissenschaft interessieren mich generell – und verbunden mit meiner Passion, der Jagd, natürlich besonders. Wir Menschen benötigten schon immer Ausrüstung, um in der Natur überleben zu können. Dass wir diese stetig weiterentwickeln, liegt in unseren Genen. Dabei kommt manchmal auch Untaugliches oder gar Gefährliches heraus. Es ist meiner Meinung nach für jedes Handwerk zentral, sich punkto Werkzeuge auf dem Laufenden zu halten. Neue Technik kann vieles verändern – manches zum Guten, anderes zum Schlechten. Aufhalten lässt sie sich jedoch nicht.

Deiner umfassenden Fachkompetenz gilt seit jeher meine grosse Bewunderung. Wie hast du es geschafft, dir ein solch breites Fachwissen anzueignen?
Mein Chemiestudium half mir sicher. Im Kern dreht es sich ja immer um Physik und Chemie. Hauptsächlich vorangebracht haben mich allerdings die Kontakte zu den Herstellern. Es ist erstaunlich, wie bereitwillig man mir immer Auskunft gab und wie viel ich aus den Ge-sprächen mit Ingenieuren und Produktspezialisten ler-nen konnte. Natürlich verrät einem niemand ein Be-triebsgeheimnis. In der Regel sind diese ohnehin lang-weilig: Oft geht es um Produktionsmethoden und Fertigungstechniken. Die Technik des Produkts selbst hingegen möchte man kommunizieren. Daher hat man mir meist sehr genau erklärt, warum ein Bauteil genau so und nicht anders konzipiert ist. Ich habe sehr gros-sen Respekt vor dem Know-how der Branche. Egal, ob Waffen, Optik, Munition oder Kleidung: Überall traf ich auf top ausgebildete, kreative Fachleute, die Freude am Entwickeln haben und stolz auf ihren Betrieb sind.

In deiner Zeit bei JAGD&NATUR hast du Hunderte von Gegenständen geprüft und getestet, sei dies auf der aktiven Jagd, auf dem Schiessstand oder sogar unter der Dusche. Was kannst du unseren Leserinnen und Lesern darüber berichten?
Es ist ein echte Herausforderung, aussagekräftige Tests zu machen. Einerseits gibt es keine standardisierten Testverfahren für Jagdausrüstung, andererseits sind die Mittel sehr beschränkt. Aufwendige Labortets wie sie zum Beispiel die Stiftung Warentest macht, sind für ein Jagdmagazin undenkbar. Daher muss man kreativ sein und eigene Testumgebungen schaffen. Regenbekleidung habe ich tatsächlich unter der Dusche getestet. Mit voll aufgedrehter Duschbrause zeigt sich schnell, welche Kleidung wirklich dicht ist. Schwachpunkte bildeten oft die Nähte und Reissverschlüsse. Sind diese nicht sauber abgedichtet, dringt mit der Zeit Wasser ein. Dann nützt selbst die Membran mit 20 000 mm Wassersäule nicht viel. Doch technische Kennwerte bilden ohnehin nur einen Teil der Realität ab. Das beste Jagdgewehr oder das beste Fernglas gibt es nicht. Welches Produtk sich eignet, hängt immer von der jagdlichen Situation sowie den persönlichen Präferenzen ab. Ver-gleichstests bringen daher wenig. Unsere Tests sollten zeigen, für welche Jagdarten und für welche Personen sich etwas besonders eignet und wo weniger.

Viele werden sich jetzt wohl denken: «Cool, so ein Testerleben ist doch schön.» Man ist ständig auf Achse, kann in andere Länder reisen, dort teilweise auch jagen, man hat stets die neuesten Produkte auf dem Tisch usw. usf. Doch wie sieht denn eigentlich die Realität aus?
Natürlich bereitet es grossen Spass, als einer der ersten neue Produkte testen zu können, Fabriken zu besuchen und Ausrüstung auf Jagden im Ausland zu prüfen. Doch das Ganze ist mit viel administrativem Aufwand verbunden. Dieser hat, aufgrund der Verschärfungen im Waffenrecht, in den letzten Jahren stark zugenommen. Und nicht zuletzt ist das Testen nur ein kleiner Teil der Arbeit. Organisations- und Schreibarbeit überwiegen.

Wie war dein Verhältnis zu den Produzenten von Jagdprodukten?
Ich empfand die Zusammenarbeit immer als sehr angenehm und von gegenseitigem Respekt geprägt. Natürlich gibt es seitens der Hersteller Erwartungen. Doch sie haben nie Druck auf mich ausgeübt. Kritik war, bis auf ganz wenige Ausnahmen, ebenfalls nie ein Problem. Wenn man etwas gut begründen kann, akzeptieren dies die Hersteller. Und in den wenigen Fällen, wo es ein biss-chen «Lämpe» gab, da konnte ich mich immer auf volle Rückendeckung von dir als Chefredaktor und dem Verlag verlassen. Das ist für einen Journalisten enorm wichtig.

Bei der Jagd hält seit einigen Jahren mehr und mehr Technik Einzug. Denken wir dabei nur an Trends wie Nachtsichttechnik, Wärmebildkameras und andere mehr. Wie siehst du persönlich diese Entwicklung?
Die Wärmebildtechnik verändert vieles. Sie erleichtert die Kitzrettung enorm und kann die Jagd sicherer ma-chen. Durch sie können unsere Sinne jedoch verkümmern. Wenn ich zum Beispiel nicht mehr ausfährte, sondern Wild nur noch mit der Wärmebildkamera suche, was bleibt dann noch vom Jagdhandwerk? Auch empfinde ich es persönlich als störend, mit tausend Hilfsmitteln auf die Jagd zu gehen. Klar: Ausrüstung ist wichtig. Noch wichtiger sind jedoch Jagdinstinkt, Erfah-rung und Wissen – daran sollten wir zuerst arbeiten.

Als Fachredaktor von JAGD&NATUR warst du beruflich und jagdlich viel international unterwegs. Was bleibt dir besonders gut in Erinnerung?
Egal, von welchem Kontinent und aus welchem Land: Wenn Jäger an einem Tisch sitzen, verstehen sie sich. Wir gehören alle derselben Sippe an. Doch in der Jagdkultur und in den Jagdstrategien gibt es grosse Unterschiede – lernen konnte ich von allen. Besonders gefallen haben mir Jagden in abgelegenen Gebieten wie etwa die Rentierjagd in einem norwegischen Fjell oder die Hirschjagd in den schottischen Highlands. Für mich ist die ursprüngliche, schweisstreibende Jagd die schönste. Wenn sie einem alles abverlangt, dann spüre ich die Natur am intensivsten, und der Jagderfolg tritt an zweite Stelle.

Woran erinnerst du dich weniger gerne zurück?
Ich war an Orten, an denen Wild wie Nutztiere gezüchtet wird. Um dort zu jagen, muss man nichts können, ausser treffen. Einer solchen Jagd ziehe ich jeden Spaziergang in unserer heimischen Natur vor. Es ist mir bewusst, dass solche Jagden ein wichtiger Erwerbszweig sind. Ich glaube aber, dass sie ein Auslauf modell ist. Die jungen Jägerinnen und Jäger interessieren sich mehr für authentische Jagden und Wildnisabenteuer. Das sieht man am Erfolg von TV-Serien wie Meat Eater und der Bildsprache auf Instagram. Die Jagdbranche hat bereits mit passenden Produkten darauf reagiert.

Du bist Obmann in einem Zürcher Jagdrevier. Und seit einigen Monaten steckst du in der Ausbildung für die Tessiner Jagdprüfung. Wie kam es dazu?
Das Tessin ist zu meiner zweiten Heimat geworden. Ich arbeite oft von dort aus und wohne in einem kleinen Rustico. Das Tessin hat nicht nur eine ganz besondere Kultur, es bietet auch viel wilde Natur. Und schau dir nur einmal die Berge dort an! Für mich zählt die Schweizer Bergjagd zu den attraktivsten Jagden auf der ganzen Welt. Wer hier weidwerken darf, ist wirklich privilegiert. Und so versuche ich nun, Italienisch zu lernen und gleichzeitig für die Tessiner Jagdprüfung zu pauken. Alles andere als einfach für mich, aber ich muss es unbedingt versuchen.

Wo siehst du die Schweizer Jagd in 25 Jahren?
Ich sehe verschiedene Trends. Die Digitalisierung wird einiges verändern, insbesondere im Bereich der Zieloptik. Gleichzeitig wächst bei vielen das Bedürfnis nach mehr Ursprünglichkeit und nach weniger Ballast. Ich hoffe, dass sich diese beiden Trends gegenseitig die Waage halten und die Jagd dadurch archaisch bleibt. Sorgen bereiten mir persönlich die zunehmenden Aufgaben, die uns der Staat – vor allem in den Revierkantonen – auferlegt. Der Administrativaufwand sowie der Aufwand für die Revierbewirtschaftung steigen. Ebenfalls nehmen der Siedlungsdruck und die Interessenkonflikte zu. Wichtig erscheint mir eine gute Balance zwischen Pflichten und Rechten für uns Jägerinnen und Jäger. Ich hoffe sehr, dass man dem auch in Zukunft Rechnung tragen wird. Wir müssen uns auf jeden Fall alle dafür einsetzen. Die Jagd wird nur überleben, wenn wir alle zusammenspannen und uns gemeinsam für sie einsetzen. Dabei zählt jeder Einzelne.

Ein herzlicher Weidmannsdank, lieber Raphael, für das Gespräch. Wir danken dir ebenso für die grossartige, lang-jährige Zusammenarbeit und zollen dir grossen Respekt für deine stets hochwertigen und aufschlussreichen journalis-tischen Beiträge. Im Namen von Verlag und Redaktion wünschen wir dir auf deinem weiteren Lebensweg nur das Allerbeste. Und jagdlich selbstverständlich viel Anblick, An-lauf und ein kräftiges Weidmannsheil.

Das Interview führte Chefredaktor Markus P. Stähli. 

Hauptbild: Aske Rif Torbensen

HighlandsRaphael Hegglin blickt auf eine intensive, lehrreiche und herausfordernde Zeit bei JAGD&NATUR zurück. Bild: Peter Diekmann

HighlandsRaphael Hegglin blickt auf eine intensive, lehrreiche und herausfordernde Zeit bei JAGD&NATUR zurück. Bild: Peter Diekmann

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