Rechts oder links … und überhaupt
Jägerinnen und Jäger legen Wert auf jagdliches Brauchtum. Es ist sogar Teil der Jungjägerausbildung. Doch oft stehen wir mit unseren jagdlichen Bräuchen zumindest mit einem Bein bereits im Aberglauben.

Wer von uns gibt auf Anhieb zu, dass wir alle selbst voller Aberglauben stecken? Dabei brauchen wir uns nur etwas auf die Finger zu schauen, um sehr schnell herauszufinden, wie es bei jeder und jedem von uns darum bestellt ist.
Auf der Innenseite meiner Bürotür hängt ein durchgerostetes Hufeisen, auf das ich einst auf einem Reviergang mitten in einem brachliegenden Feld getreten bin. Warum habe ich es mitgenommen, gereinigt, mit Lack besprüht und dann aufgehängt – und zwar korrekt, das heisst mit der offenen Seite nach oben, damit allfällig aufgefangenes Glück nicht auszuleeren vermag? Kein Zweifel, es dreht sich um ein Relikt, ein Überbleibsel aus einer Zeit, in der man mit Pferden den Acker bestellte. Aus der guten alten Zeit, die vorwiegend in unserer Fantasie existiert, in jenen weit zurückliegenden Tagen jedoch nie von irgendwem als solche wahrgenommen wurde. Und war es nun einzig historisches Interesse, das mich bewogen hatte, den an sich wertlosen, aber etwas ungewöhnlichen Fund so liebevoll zu umsorgen? – Da habe ich meine ernsthaften Bedenken.
Etwas könnte ja dran sein, oder nicht?
Gewiss, mit dem Jagen haben Pferde – und somit auch Hufeisen – höchstens in entfernter Weise zu tun. Immerhin in unserem Fall aber mit mir, einer Person also, die sich als eingefleischten Jäger betrachtet. Als Leserinnen und Leser fragen sie sich jetzt bestimmt, wie ich auf die Idee gekommen bin, mich um Aberglauben zu kümmern.
Erst neulich habe ich mich mit dem österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand beschäftigt, dem schiesswütigsten Hochadligen seiner Zeit. Der schoss am 27. August 1913 im Salzburgerland eine weisse Gämse. Und dies trotz ausdrücklicher Warnung seiner Jäger. War man doch überzeugt, wer ein solches Tier erlege, werde innerhalb eines Jahres zu Tode kommen. Bekanntlich traf dies bei Franz Ferdinand tatsächlich zu, denn er fiel zehn Monate später, am 28. Juni 1914, zusammen mit seiner Frau in Sarajewo einem Attentat zum Opfer.
Reiner Zufall, sagen wir als rational denkende Menschen des 21. Jahrhunderts. Doch sind wir absolut, zu 100 Prozent sicher? Wahrscheinlich nicht so ganz.
Wissen, nicht glauben – wollen wir das wirklich?
Einige Jahrzehnte sind vergangen, seit uns der Schriftsteller Max Frisch († 1991) ermahnte, nach Wissen zu streben und den Glauben möglichst hinter uns zu lassen. Die Frage ist einfach, wie gut uns das gelingt – selbst im 21. Jahrhundert. Wesentlich «aufgeräumter» sind wir schon, doch bis in die jüngere Vergangenheit glaubten wir allen Ernstes an Hexen, an einen Bund mit dem Teufel und ähnliches. Rufen wir uns in Erinnerung, dass auf eidgenössischem Boden 1782 mit Anna Göldi die letzte Hexe in Europa zwar nicht verbrannt, aber mit dem Schwert hingerichtet wurde.
Mittelalter und Neuzeit bis weit ins 18. Jahrhundert waren wohl grausam gegenüber Menschen, denen man in abergläubischem Wahn alle möglichen Verbrechen unterjubelte – gleichgültig, ob sie «Hexen», «Hexenmeister» oder Juden waren. Doch lasst uns bitte nicht vergessen: Verglichen mit den entsetzlichen Judenverfolgungen im 20. Jahrhundert mögen diese ebenfalls grausigen Untaten nahezu geeignet sein, uns als irrwitzige Lappalien zu erscheinen.
Verständlich ist es, dass Aberglaube besonders dort zu spriessen pflegte und nach wie vor blüht, wo der Tod mit im Spiel ist. Und gerade Letzteres können wir für die Jagd nicht von der Hand weisen. So vermute ich, dass wir mit den weitaus meisten jagdlichen Bräuchen zumindest mit einem Fuss im Aberglauben stecken. Besonders offenkundig wird dies, wenn es um «links» und «rechts», um die linke oder rechte Seite von irgendetwas geht. Um nicht ins Uferlose zu geraten, wollen wir uns jetzt darauf beschränken.
Rechte Hand und linke Hand
Etwa 85 bis 90 Prozent der Menschen sind Rechtshänder. Die rechte Hand ist für sie die Arbeitshand, die «wertvollere» Hand also. Zugleich war sie seit eh und je die Hand, welche die Waffe führte, mit der man grüsste, die man zum Handschlag reichte und zum Schwur hob. Selbstverständlich stimmte all das nicht nur für die Jägerschaft, hat aber gerade auch bei ihr zu festen Verhaltensregeln geführt. Denn Jagen war eben immer ein ausgesprochen handfestes Handwerk.
Wohl galt die linke Hand (abgesehen von Linkshändern) stets als die minderwertige und es wäre komplett falsch, mit ihr einem erfolgreichen Schützen Weidmannsheil zu wünschen. Dennoch wird ihr als «Herzhand» eine wesentliche Funktion zugeschrieben. Am Rande sei bemerkt, dass sie in alten Zeiten auch die Schutzhand war. Denn links trug man den Schild, der den eigenen Körper vor den Hieben und Stichen der Feinde schützen sollte. Sie wird folglich als unheilabwehrend eingeschätzt und bringt sowohl beim überreichen des Ehrenlaufs anlässlich einer Parforcejagd als auch beim Zuprosten friedliche und freundschaftliche Absicht zum Ausdruck.
Eine konsequente Abwertung der linken Hand ist daher nicht zu erkennen, wenngleich generell rechts mit «rechtmässig», «rechtschaffen», «gut» etc. gleichgesetzt wird. Dagegen links im Sinne von «linkisch», «fehlerhaft», «schlecht» u. Ä. erscheint.
Wenn Erklärungen zum Murks werden
Eines gleich vorneweg: Allzu tierisch ernst sollten wir das bei uns heutzutage zelebrierte jagdliche Brauchtum nicht nehmen. Schon deswegen nicht, weil es sich kaum auf schweizerischem Boden entwickelt hat und sich hier erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts richtig zu entfalten begann. Im Übrigen entspricht es so ganz und gar nicht unserer politischen Gesinnung, wie sie allerdings nicht völlig korrekt als seit Urzeiten gesamtschweizerisch propagiert wird. Denn manche der 13 Orte in der Alten Eidgenossenschaft wurden alles andere als demokratisch regiert. In der Sendung «Die Schweiz und die Jagd» von Netz Natur vor ein paar Jahren hat es Andreas Moser auf den Punkt gebracht. Etwas maliziös, aber richtig hat er darauf hingewiesen, dass wir auf der Schweizer Jagd Bräuche inszenieren, die beinah durchwegs von adliger und deshalb fremder Herkunft sind.
Aber ehrlich: Weder auf das Legen der Strecke noch auf den Schützenbruch oder das Verblasen des erlegten Wildes möchte ich verzichten. Bei alledem geht es doch darum, unser jagdliches Tun in einen würdigen Rahmen zu fassen.
Mühe bereitet es mir dann, wenn Deutungen an den Haaren herbeigezogen werden, etwa in Zusammenhang mit dem Legen der Strecke. Unter anderem kann man darüber lesen: «So wird Wild immer auf die rechte Körperseite zur Strecke gelegt. Es kehrt damit seine ‹schöne› Seite der Erde zu, aus der es hervorging. Auch die Reihenfolge des zur Strecke gelegten Wildes beginnt am rechten Flügel mit den stärksten, also den ‹schönsten› Stücken.» An anderer Stelle wird behauptet, die dem Erdboden zugekehrte «gute» Seite verhindere das Eindringen von Erdgeistern (!). Ebenso leicht liesse sich aber argumentieren, die dem Boden zugewandte linke Seite bezwecke die Versöhnung mit «Mutter Erde» und deren Geisterwelt.
Und wenn Sichtweisen womöglich falsch sind oder fehlen? – Auch gut.
In unserem Zusammenhang ist es schon fast befreiend, herauszufinden, dass bevorzugte Seiten zuweilen mit Aberglauben nichts zu tun haben, sondern einfach praktisch zu begründen sind. So zum Beispiel, dass man den Hund links führt, es sei denn, man trete als Falkner in Erscheinung. Da mag es von Vorteil sein, seinen Hund auf der rechten Seite zu haben, denn auf der linken Faust sitzt der Vogel.
Bekannt seit Langem ist mir auch, dass deutsche und österreichische Jäger Büchse oder Flinte vorzugsweise an der linken Schulter umhängen. So wollen es manche der Infoquellen, die ich konsultiert habe. Auf diese Weise werde die Waffe vor dem «Besprechen», das heisst dem Belegen mit schädlichen Zaubersprüchen, geschützt. Andrerseits gehöre das Jagdhorn, mit dem gegrüsst und gerufen wird, auf die rechte Seite.
Offensichtlich zählte ich Zeit meines Lebens nicht zu jenen Jägern, auf die es böse Geister abgesehen haben. Weder trug ich jemals die Waffe links, sondern so, wie es mich meine Vorfahren gelehrt und es in unserer Armee vorgeschrieben ist. Und das «Unterhängen» des Gewehrs kam für mich erst recht nie in Frage. Dass andrerseits meine Hornsignale falsch oder gar nicht verstanden wurden, nur weil ich das Instrument links umgehängt hatte, trat nie ein. All meinen Schweizer Jagdkolleginnen und -kollegen scheint es ebenso zu ergehen beziehungsweise ergangen zu sein. Kaum jemand trägt, abgesehen von manchen Linkshändern, die Waffe links. Und wo auf den Herbstjagden die «Signalhupe» platziert wird, ist jedem/jeder selbst überlassen.
Inzwischen habe ich beobachtet, dass es auch Jagende unserer nördlichen und östlichen Nachbarländer mit dem Tragen der Waffe nicht oder nicht mehr genau nehmen. Viel wichtiger scheint ihnen das Einhalten von Vorsichtsmassnahmen geworden zu sein.
Zum Schluss: Die Sache mit den Brüchen am Hut
Eine Weile hat es gedauert, bis jeder Schweizer Jäger begriff, der Erleger- oder Schützenbruch gehöre auf die rechte Hutseite – wohl auf die «gute», die «schöne» Seite halt. Eine überzeugende Erklärung dazu gibt es nicht. Es ist nun einmal so. Und vergessen Sie ja nicht, einen Trauerbruch auf der linken Seite anzustecken – mit der Oberseite nach innen. Etwas anderes wäre eher (warum eigentlich?) blamabel. Aber bleiben Sie getrost. Es existieren gravierendere Momente der Peinlichkeit, als bei der Ehrerweisung für Verstorbene ein bisschen danebenzugreifen. Hauptsache ist letztlich, Sie behalten die Erinnerung an die betreffende Person in Ehren.
Text: Peter A. Widmer
Bild: Nathalie Homberger
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