Was macht die Brunft mit dem Bock?
Über die physiologischen Auswirkungen der Brunft auf Rehbock und Wildbret.

Wenn Sie (auch) der Meinung sind, über die Rehbrunft sei alles bereits hundertfach gesagt, dann lesen Sie den Titel dieses Aufsatzes noch einmal aufmerksam. Was wissen wir wirklich darüber, was die Brunft mit dem Bock macht, was blenden wir aus, was stellen wir uns einfach nur so vor und was vermenschlichen wir unter Umständen sogar?
Und jetzt gehen wir es ganz systematisch und sachlich an:
Punkt 1: Das Testosteron …
… der Bösewicht, Verursacher von Trieb, Aggression und Kampfeslust. Ganz genau. Aber die Evolution hat sich bei seiner Erfindung nicht geirrt. Bei Tieren und wohl auch bei unseren Vorvätern ermöglichte es damit nicht nur die Fortpflanzung selbst, sondern auch den Schutz von Fortpflanzungsgemeinschaften (u. a. durch die schönen «Hörndln», auf die es ja so mancher von uns abgesehen hat). Und tut es heute immer noch. Auch bei uns Menschen.
Testosteron ist ein Hormon, ein Botenstoff. Seine Bildung und Arbeit werden von einem ausgeklügelten System gesteuert, ausgehend von bestimmten Teilen des Gehirns. Es wird bei männlichen Lebewesen grossteils in den sogenannten Leydigschen Zwischenzellen des Hodens produziert. Bei Weibchen – oh ja, die haben es auch – kommt es aus den Eierstöcken und Nebennieren, nur eben in viel geringeren Mengen. Deshalb sind weibliche (Säuge)Tiere in der Regel kleiner und weniger bemuskelt als männliche. Dafür ist das Hormon nämlich verantwortlich, wie auch für die Ausprägung männlicher Merkmale wie eben der Gehörne, für sexuellen Trieb, Ausdauer, Imponier-, Dominanz- und Aggressionsverhalten. Nun ist es tatsächlich so, dass der Testosteronspiegel nicht nur den grossen Unterschied zwischen Männchen und Weibchen ausmacht – und wieder ja, auch beim Menschen. Es gibt wohl auch innerhalb der Männchen individuelle Unterschiede, durch die sich dann der Raufbold vom «Vernünftigen» abhebt. Bei mehrlingsgebärenden Tieren scheint ein derartiger Unterschied dadurch beeinflusst zu sein, wo der Heranwachsende in der Gebärmutter platziert war. Spannend, nicht? Nun, da das Reh doch selten mehr als zwei Kitze führt, fällt dieser Unterschied wahrscheinlich nicht gross ins Gewicht. Im Hinterkopf behalten darf man ihn aber – agieren doch manche Böcke ganz offensichtlich «hormongesteuerter» als andere.
Der Sexualhormonzyklus ist beim Reh – wie bei anderen Geweihträgern auch – bei männlichen und weiblichen Stücken völlig unterschiedlich. Den kurzen auf-nahmebereiten und langen fruchtbewahrenden Zeiten der Geissen steht ein langgezogener, wellenförmiger Verlauf beim Bock gegenüber. Der Testosteronspiegel steigt mit der Tageslänge bereits sehr früh im Jahr, die erste Welle geht von Ende Februar bis Anfang Mai. Klar so weit, da sind Kampfeslust, Ausdauer und Imponieren gefragt, denn es geht ja um Territorien. Bei den «Besitzungen» eines Rehbockes geht es ja nicht nur um Äsungsangebot oder Geissenbestand, sondern um die Sicherung einer ungestörten Arena für das lebenswichtige Spiel im Sommer. Im Gegensatz zum Wachstum des Kurzwildbrets, das vom Frühjahr an bis zur Brunft hin kontinuierlich verläuft – beim Jährling nur etwas zögerlicher als beim Mehrjährigen –, fällt der Hormonspiegel nach der fordernden Zeit der Revierkämpfe wieder leicht ab. Dies ist die Zeit der Ruhe vor dem Sturm, in der sich die Böcke aufgrund niedriger Aktivität häufig unseren Blicken entziehen. Gegen die Brunft zu steigt der Testosteronspiegel naturgemäss wieder an, er strebt im wahrsten Sinne des Wortes dem Höhepunkt zu. Wenn die Grenzen halten, weder ein Neuankömmling stört, noch frühzeitige Brunftjagd die Verhältnisse durcheinanderwirbelt, dienen die Hormone nun nicht mehr dem Imponieren und Abwehren, sondern nur mehr der Weitergabe der Gene. Im Gegensatz zum Rothirsch mit seinem primitiv anmutenden Urinspritzen, mit dem er die halbe Decke «versaut», ist der Rehbock während der Paarungszeit ein Gentleman. Aber gut, sogar bei uns Menschenfrauen sollen ja die Geschmäcker bezüglich männlicher Verhaltensweisen verschieden sein.
Fazit: Erstens – würde Testosteron per se den Ge-nuss des Wildbrets verhindern, dürften wir den beliebten 1.-Mai-Bock auch nicht essen. Zweitens – das Tes-tosteron selbst können wir geruchlich nicht direkt wahrnehmen, wohl aber männlichen Urin. Um eine Geruchsübertragung auf das Wildbret zu vermeiden, ist es durchaus zu jeder Zeit angeraten, Brunftrute und Kurzwildbret zügig zu entfernen und beim Aufbrechen die Harnblase nicht zu eröffnen.
Punkt 2: Die Pheromone …
… Duftstoffe. Lockstoffe. Auch Pheromone sind Botenstoffe, ihre Botschaften richten sich aber nach aussen. Sie lösen beim Empfänger bestimmte Reaktionen oder bestimmte Verhaltensweisen aus. Sie stellen also einen wichtigen Teil der innerartlichen Kommunikation dar. Innerartlich wohlgemerkt. Denn die geruchliche Laut-gebung nach aussen hin ist nicht immer von Vorteil – Auffallen kann auch gefährlich werden. Zumal recht ausgefuchste Nasen (Fuchs …) auch die Duftstoffe fremder Arten wahrnehmen können.
Gerade im Fortpflanzungsgeschehen werden allerdings derartige Mengen an Pheromonen produziert, dass auch unsere stumpfen Nasen nicht umhinkönnen aufzuhorchen. Das Pheromon Androstenon etwa ist ein Stoffwechselprodukt des Testosterons – also mit dessen Anstieg gekoppelt. Bei Tieren wird es über das im Gaumen liegende Vomeronasal-Organ wahrgenommen. Beim Flehmen des Gamsbockes zum Beispiel wird die Luft damit auf weibliche Pheromone geprüft. Beim Menschen existiert dieses Organ auch, allerdings ist es wie so manches andere ziemlich ineffizient.
Das männliche Pheromon Androstenon reichert sich vor allem im Fettgewebe und in den Speicheldrüsen an, von wo aus es über den Speichel freigesetzt wird. Fettgewebe und Schaumschlagen klingt nach … genau, rauschigem Keiler! Und den riechen wir sehr wohl.
Natürlich arbeitet auch das Reh mit Lockstoffen. Nicht umsonst bieten etliche Firmen deren Nachbauten als jagdliches Lockmittel an. Die Geiss macht sich in der Brunft damit bemerkbar, der Bock hingegen benützt sie schon viel früher, nämlich wiederum, um seine Grenzen zu markieren. Im Gegensatz zu den übrigen, hinlänglich bekannten Duftdrüsen des Rehs, die übers Jahr immer gleich arbeiten, tun sich am sogenannten Stirnorgan des Rehbocks zyklisch gewaltige Umbauten. Es handelt sich dabei ja nicht um ein abgegrenztes Organ im eigentlichen Sinne, sondern um eine Ansammlung von Talg- und Duftdrüsen um die Haarbälge der Stirnlocke. Denkt man nun wiederum an das Markieren von Reviergrenzen, ist klar, dass diese Drüsen bereits im Frühjahr deutlich an Grösse und Funktion zunehmen. Das Reiben der Stirn an markanten Bäumchen hätte ja sonst kaum Sinn. In Richtung Brunft ändert sich nicht mehr viel – die starken Knäuel bleiben, die Stirnlocke und umliegende De-ckenteile duften weiter. Allerdings ist auch dieser Geruch für uns bei Weitem nicht so aufdringlich wie beispiels-weise der aus den Brunftfeigen der Gams.
Fazit: Erstens – Pheromone finden sich konzentriert im Fettgewebe, das beim Schwarzwild deutlich reichlicher vorhanden ist, auch intramuskulär, als beim Rehbock. Wie wir wissen, ist Rehfleisch generell besonders fettarm. Der Bedarf an Energiereserven für das Brunft-geschehen ist auch deutlich geringer als beispielsweise beim Gams mit seinen atemberaubenden winterlichen Hetzjagden. Und Schaumschläger sind die Böcke schon gar nicht.
Zweitens – wäre der Markiergeruch am Haupt des Bockes so untragbar, täte man ja auch im Mai schon gut daran, nicht erst «handgreiflich» das Geweih zu bewundern, ehe man mit derselben Hand aufbricht.
Ein reichlich abgekämpfter Bock in der Brunft – das kräftezehrende Brunfttreiben hat Auswirkungen auf die Glykogenreserven. Und diese sind ausschlaggebend bei der Fleischreifung. (Bild: zVg.)
Punkt 3: Das Verhalten …
… Dem erfahrenen Jäger liegt hier nichts im Dunkeln. Nachdenken geht trotzdem. Es geht um den körperlichen, energetischen Aufwand. Im Frühjahr muss sich der Bock schon einmal etwas anstrengen, wenn etwa Neuankömmlinge sein Revier in Frage stellen oder wenn er sich selbst gerade erst eines erkämpft. Gemütlicher geht es den alten Recken, die ihre Nachbarn kennen und bei denen gegenseitiger Respekt viel Mühe erspart. Dasselbe Spiel in der Brunft. Der eine hat ekelhafterweise immer wieder noch einen Naseweisen zu verstampern, der andere ruht gelassen in seinen «vier Wänden». Einer kommt an «zickige» Geissen, die sich ewig zieren, und hat viel Weg zu machen; treibend, kreisend, keuchend. Der Held, dem die Damen die Tür einrennen, um sich rührend rasch zu ergeben, hat es weniger anstrengend – es sei denn, er kann nicht aufhören …
Fazit: Die Blattjagd ist ja deshalb so beliebt, weil vor allem gegen Ende der Brunft Böcke auftauchen können, die man zuvor nie gesehen hat. Aber was weiss man über sie? Und konnte man sie in ihren Aktivitäten vorher beobachten? Haben sie viel Energie verbraucht? Wie ist ihr Allgemeinzustand? Und das führt nun zum letzten und alles zusammenfassenden Gedankengang:
Punkt 4: Die Wildbrethygiene …
… seit gut 20 Jahren gottlob und hoffentlich in allen grünbehüteten Köpfen angekommen. Gehen wir die hier relevanten Punkte kurz durch. Ansprechen heisst Lebendtieruntersuchung. Ist der Bock abgekommen, wirkt er erschöpft, hängt ihm der Lecker heraus? Um welches kräftezehrende Geschehen es sich auch handelt – Brunftarbeit, Beunruhigung, Gehetztwerden –, wir wissen, dass die Fleischreifung von den Glykogenreserven abhängt, die in solchen Fällen sehr gering sein können. Die für Haltbarkeit und Geschmack nötige Säuerung bleibt unabhängig von der Ursache aus, das Wildbret ist bestenfalls minderwertig bis ungeniessbar.
Kann guten Gewissens erlegt werden, wird das Stück von aussen noch einmal begutachtet, was nicht immer grosse Aufschlüsse bringt, sollte nicht deutliche Abmagerung zu sehen sein.
Über sauberes Aufbrechen im Zusammenhang mit möglichen Stolpersteinen haben wir schon nachgedacht. Von eminenter Bedeutung ist dabei aber gerade im Hochsommer auch die Zeit! Da ist einfach nicht mehr als nötig zu verlieren (was natürlich nicht heissen soll, dass man vom Sitz springt, wenn die Geiss noch verdattert danebensteht, aber das ist ja klar). Noch einmal ein kundiger Blick auf den Ernährungszustand versteht sich von selbst.
Wer sorgsam aufgebrochen hat und das Stück im Hängen noch eine Weile betrachten möchte, der kann auch den Eintritt der Totenstarre als Indikator für die spätere Fleischqualität heranziehen. Tritt sie zu schnell oder gar nicht ein, schaut es schlecht aus.
Zum Transport und zur ersten Lagerung drängt sich mir ein Bild auf. Eine Wildkammer gedrängt voll mit schlampig aufgebrochenen Böcken, denen – ich sag es jetzt einmal bösartig – gierig das behörnte Haupt abgeschlagen worden war. Schmutz und süsslicher Gestank. Ekelerregend! Und dies gilt ja als Ausschliessungsgrund für die Verwertung. Dass es das war, stand für mich ausser Zweifel. Leider wird in der Brunftzeit zum Teil recht haltlos und ohne Respekt vor Wild und Wildbret zugegriffen. Gerade dieser Respekt sollte allerdings von Brunftzeiten unabhängig walten. Vielmehr gerade da!
Fazit – letztes Fazit: Jeder Jäger ist für sein Tun verantwortlich. Auch für das, was seinem Handeln folgt. Es entscheide jeder für sich, ob es unbedingt der Brunftbock sein muss, von dem man nicht weiss, ob er gerade kräftezehrendes Treiben hinter sich hat, und das Wild-bret daher verworfen werden müsste. Vielleicht hat man den Herrn aber auch in Ruhe dabei beobachtet, wie er niedergetan auf die Dame seines Herzens gewartet hat, ohne Energie zu verbrauchen – Zugriff erlaubt. Vielleicht ist aber auch ein frecher Jährling, der gerade erst am Rande ins Geschehen einsteigt, wildbretmässig noch unverdorben ist, daher lecker schmeckt und auch noch gut in die Abschussplanung passt, unter Umständen die befriedigendste Wahl. Also nichts gegen die sicherlich reizvolle Jagd in der Brunft. Umgeben von hohem Sommergras und warmer Sonne. Wem dazu allerdings Wissen, Respekt und ein gutes Jägersein fehlt, möge es – meiner Meinung nach – lassen.
Text: Beatrix Sternath
Hauptbild: Karl-Heinz Volkmar
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